Viivi Luik gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten und international bekanntesten Autoren der estnischen Literatur. Zunächst hat sie die estnische Leserschaft als 18-jährige in der Mitte der 1960. Jahre mit ihrer Naturlyrik bezaubert.
Dann, in der Mitte der 1980. Jahre ist ihr erster Roman „Der siebte Friedensfrühling“ zu einem Bestseller geworden. Das aus der Kindsperspektive verfasste Buch hat nicht nur das Lebensgefühl einer ganzen Nachkriegsgeneration in Worte gefasst, sondern auch gezeigt, dass der Mut und der Wille des Lebens nicht Regime-abhängig sind und jedem einzelnen zugängig sind.
Direkt in die Zeit des Verfalls der Sowjetunion fällt das Erscheinen Viivi Luiks zweiten Romans „Die Schönheit der Geschichte“. Das im Jahre 1991 erschienene Buch porträtiert den Umbruch der Zeit um 1968. Wieder sind – so wie auch in ihrem letzten Roman „Schattenspiel“ – die Zeit und der Mensch ineinander verflochten und es geht dem Individuum darum, sich aus dem Bann seiner Zeit loszubrechen, zumindest mental.
Viivi Luiks Romane sind zwar auf Estnisch geschrieben, aber gehören zur Weltliteratur. Sie brauchen und finden Gesprächspartner außerhalb der estnischen Sprache. Nicht nur ihre Romane, sondern auch Ihre Lyrik, Hörspiele und Essays sind in unterschiedlichen europäischen Sprachen erschienen. Ihre Essays geben oft einen unerwartet scharfen Blick auf die Verhältnisse der Zeit.
Zum Glück, sind alle Romane von ihr auch ins Deutsche übersetzt. 2018 erschien ihr dritter Roman „Schattenspiel“ ist dank Cornelius Hasselblatt und des Wallstein Verlags auf Deutsch. Auf Englisch kann man soweit nur den Roman „Die Schönheit der Geschichte“ lesen.
Seit der Mitte der 1990. Jahre hat Viivi Luik etwa 18 Jahre außerhalb von Estland gelebt, in Helsinki in Finnland, in Berlin in Deutschland, in Rom in Italien, in Riga in Lettland, in New York in den USA und in Stockholm in Schweden.
„Schattenspiel“ – auf Estnisch 2010 erschienen – schildert interessanterweise nicht die Unterscheide zwischen Ost- und West-Europa, sondern zwischen den nördlichen und südlichen Teilen Europas und zweigt gleichzeitig, wie trotz allem das neue und das alte Europa unvermeidlich miteinander verbunden sind.
„Schattenspiel“ beginnt mit einem Moto von Carl Gustav Jung, der mal, genauer gesagt im Jahre 1949 nach Rom reisen wollte, doch die Idee aufgab, und mit der Behauptung der Erzählerin, dass ihre Reise nach Rom in dem gleichen Jahr, im Sowjet-Estland anfing, als sie das erste Mal ein Bild von Kolosseum in einem Buch sah.
„Ich war auf dem Weg nach Rom, und das war kein Scherz,“ sagt sie. Diese Reise führt sie durch Jahrzehnte in Estland, hinter dem Eisernen Vorhang, später durch Helsinki und Berlin.
In Berlin sagt ein deutscher Kritiker der Erzählerin: „Schreiben Sie auf jeden Fall darüber, wofür Sie sich am meisten schämen. Sagen Sie nicht, dass Sie sich keiner Sache schämen.“
Ich glaube, Viivi Luik gelingt es tatsächlich immer wieder neue Aspekte der Menschenseele und der menschlichen Existenz ans Licht zu bringen. Etwas altes, vielleicht schon immer dagewesenes, aber vergessenes neu zur Sprache zu bringen und ans Tageslicht zu stellen.
In einem Beitrag zur Poetik von Viivi Luik und Ingeborg Bachmann habe ich behauptet, dass ich die Werke von Viivi Luik lese, um im Mut zu leben gestärkt zu werden und mehr über meine eigenen Schattenseiten zu erfahren.